Unsere Tochter Eva Victoria wurde am Karfreitag ins Spital gebracht, da sie auf einmal 41 Grad Fieber ohne weitere Symptome hatte. Zuvor hatte sie lediglich Durchfall und einmal erbrochen. Im Spital angekommen wurde sie kurz untersucht und mit der Diagnose «Atemwegsinfekt» nach Hause geschickt.
Zuhause schlief Eva den ganzen Tag. Abends war sie nur noch am Wimmern, aber mit geschlossenen Augen. Komisch: das alleine liegen gefiel ihr besser als das Wippen im Ergo, das sie normalerweise so sehr beruhigte… sie konnte nicht mehr schlafen und wir riefen immer wieder am Ärztetelefon an, die aber nicht viel weiterhelfen konnten und die Gefahr auch nicht erkannten.
Am nächsten Tag entdeckten wir beim Wickeln blaue Flecken an Füssen und Beinen. Sofort rannten wir wieder ins Kinderspital. Auf der Notfallaufnahme wurden wir wie gewohnt gefragt, weshalb wir hier seien. Als wir die blauen Flecken erwähnten und zeigten, änderte sich das Gesicht der Empfangsdame. Sofort liess sie uns in ein Zimmer führen. Schnell kam ein Arzt, wenig später der Oberarzt und bald war das ganze Zimmer voll. Wir wussten: Etwas stimmt ganz und gar nicht mehr. «Wir vermuten eine Pneumokokkeninfektion», erklärte uns der Oberarzt. «Ist dies gefährlich?», fragte ich verunsichert, denn ich konnte mit der Diagnose nicht viel anfangen. «Ja, es ist lebensgefährlich», bestätigte er mir. Den ersten Gedanken, den ich hatte, war: Eva Victoria, Leben und Sieg. Mein Mann hatte bereits vor der Geburt stark den Eindruck, dass wir unserer Tochter einen Namen mit der Bedeutung «Leben» geben sollen und kurz vor der Geburt träumte ich mit dem Namen Victoria. Schon damals fragte ich mich: Was soll dieser Name wohl bedeuten? Als gläubige Person sagte ich schon damals: ‘Falls Eva jemals in Lebensgefahr geraten sollte, werde ich wissen können, dass sie es überleben wird.’ Nun war die Zeit gekommen. Natürlich waren wir trotzdem beunruhigt, aber irgendwie spürten wir auch einen Frieden. Ihr wurde Blut entnommen, um den Verdacht der Pneumokokken Infektion zu bestätigen und eine Leukämie auszuschliessen. Zudem wurde mit einer Antibiotika- Therapie angefangen und es wurde mir gesagt, dass man innert 24h eine Verbesserung der Blutwerte erwartet, die uns zeigen, dass sie auf die Therapie anspricht. Acht Stunden verbrachten wir auf dem Notfall, um zu sehen, ob sich Evas Zustand stabilisiert und wir auf die Station wechseln können, oder ob sie auf die Intensivstation verlegt werden muss. Ständig starrte ich auf den Monitor und lernte schnell, welche Zahlen wie hoch sein dürfen und auf was es zu achten gilt. Ich wusste nicht, dass ich für längere Zeit die letzten Male in Evas Augen schauen konnte. Schlussendlich entschieden sie sich für die normale Station, auf die wir spät abends gebracht wurden. Mein Mann ging nach Hause. Als wir am Einschlafen waren, begannen sich die Zahlen auf Evas Monitor zu ändern. Ich war beunruhigt und klingelte. Nach einem hin- und her wurde mir einen Arztcheck angeboten, den ich gerne annahm. Der Arzt kam und bestätigte meinen Verdacht: Eva muss auf die Intensivstation verlegt werden. Ich war gleichzeitig beruhigt und beunruhigt. Irgendwann musste ich dann aber doch schlafen gehen, das heisst, ich musste mich von Eva verabschieden. Ganz bewusst legte ich sie in Gottes Hände und habe neben ihrem Bett gebetet, dass Gott für Eva spürbar nah sein solle mit seinen Engeln, gerade dann, wenn ich schlafen gehe. So verabschiedete ich mich von ihr. Am nächsten Morgen stand ich früh auf, frühstückte etwas, betete für Eva und ging dann zu ihr. Vielleicht geht es ihr heute ja schon besser, dachte ich. Leider passierte allerdings das, was in den nächsten Tagen häufig passierte: ich bekam morgens eine schlechte Nachricht.
Die Pneumokokkeninfektion hat sich auf dem Gehirn abgelagert. Eva bekam einen sehr steifen Nacken und musste den Kopf stets hochgelagert und nicht zur Seite gelegt haben. Immer mehr Schläuche wurden angehängt und es wurde mir gesagt, dass Eva höllische Kopfschmerzen haben müsse, die man nicht mit einer Migräne vergleichen könne. Ich hatte selbst schon starke Migränen-Anfälle, die waren mir mehr als genug. Arme Eva, wie kann ich ihr nur helfen? Mit geschlossenen Augen lag sie da und rührte sich nicht mehr. Sie stöhnte nur ab und zu und gab Laute von sich, wie ich sie noch nie von ihr gehört habe. Ich weinte, wollte ihr helfen, wollte nicht gehen.
Freunde haben uns geschrieben und gesagt, dass sie für uns beten. Obwohl ich tagsüber die ganze Zeit nur neben Eva sass, wurde es mir nicht langweilig. Ich beobachtete alle Zahlen auf den verschiedenen Monitoren, stellte den Ärzten und Pflegenden allerlei Fragen und wollte wissen, weshalb was gemacht wird. Diese Fragen wurden mir stets sehr geduldig und liebevoll beantwortet, das gab mir Sicherheit. Ich war sehr erstaunt und bin den Pflegenden und Ärzten noch heute unendlich dankbar für ihre Zeit, die sie in der grossen Hektik auch mir gaben. Es war unterdessen Ostersonntag und ich ging nach Hause, um mit meiner Familie und Freunden aus unserer Kirche das Abendmahl zu feiern und gemeinsam für Eva zu beten. Neu gestärkt ging ich zurück ins Spital und war mir sicher: Morgen, am Ostermontag, werde ich eine gute Neuigkeit bekommen. Die Blutwerte werden gut sein und ich werde mich freuen dürfen! Allerdings kam es nicht so. Als ich auf die Station kam und euphorisch nach den Blutwerten fragte, wurde mir gesagt, dass sie sich weiter verschlechtert hätten. Ich rannte nach draussen, weinte und brach zusammen. Ich lag weinend und kraftlos auf dem Flur, bis eine Reinigunsfachfrau mich liebevoll auf einen Stuhl setzte. Wie konnte das sein?? Habe ich Gott falsch verstanden? Wenn sie nicht auf die Therapie anspricht, dann stirbt sie, das bestätigte mir auch der Arzt. Auch er habe Angst um das Leben von Eva, sagte er mir. «Gott, du hast gesagt, du bist in den Schwachen mächtig. Du findest momentan auf der ganzen Erde niemand schwächeren als mich! Beste Gelegenheit für dich also, um dich stark zu machen!», betete ich. Mein Mann kam und sagte, dass wir bereit sein müssen, Eva loszulassen. Ja, wir wussten, dass Eva am schönsten Ort sein wird, falls sie uns verlassen würde: bei Gott selbst. Aber Gott hat uns doch versprochen, dass sie leben und siegreich sein wird?
Als er zu ihr hineinging und wenig später wieder herauskam, meinte er, dass er einen starken Frieden über Eva spüre. Etwas später ging auch ich hinein und legte vorsichtig meine Hand auf Evas Bauch. Plötzlich durchströmte auch mich einen tiefen Frieden und ich hatte auf einmal die Gewissheit, dass Eva leben wird. Ich bekam sogar Freude! Auch wenn noch nichts danach aussah, wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Eva wieder ganz gesund sein wird. Ich sang und dankte Gott für die Heilung und wollte am liebsten, dass alle das gleiche erleben können wie ich. Ich wünschte mir, dass ich für alle anderen auch beten könnte, dass sie auch Gottes Frieden inmitten der schweren Zeit spüren dürfen. Kurze Zeit später kamen die Pflegenden zu mir und sagten, dass sie gute Neuigkeiten hätten: die Entzündugswerte im Blut seien zwar gestiegen, aber andere Werte seine besser geworden. Wahrscheinlich hänge der Entzündungswert einfach ein bisschen hinterher. In dieser Nacht konnte ich besser schlafen. Aber schon am nächsten Morgen kamen wieder erschreckende Nachrichten: Eva habe in der Nacht einen septischen Schock erlitten und stand auf Alarmstufe rot, sie war in akuter Lebensgefahr. Einen Tag später wurde festgestellt, dass nicht nur die Hirnhaut, sondern auch das Hirn selbst entzündet sei und deshalb Folgeschäden sehr wahrscheinlich seien. So kam es in den nächsten Tagen zu einem emotionalen auf und ab. Aber die Gewissheit, dass Eva wieder ganz gesund werden wird, blieb bestehen.
Zwei Tage später wurden epileptische Anfälle im Gehirn festgestellt und der gesundheitliche Status war mal besser, dann wieder auf Alarmstufe rot. Wenn man dachte, jetzt sei alles unter Kontrolle, kam das nächste. Am folgenden Sonntag beispielsweise hatte sie einen erneuerten septischen Schock. Die Werte auf den Monitoren sprangen hin und her und die Ärzte brauchten viel Weisheit um die weiteren Schritte zu planen. Eine Verbesserung hier zog eine Verschlechterung dort mit sich usw. Ich schrieb meiner Kirche ein Update und da es Sonntagmorgen war, haben sie im Gottesdienst gleich für sie gebetet. Plötzlich stand die Pflegende überrascht da und sagte, dass sich die Situation erstaunlicherweise auf einmal beruhigt habe. Für uns war das klar ein erneuertes Zeichen von Gott für seine Treue und seine Macht. Wenige Tage später durfte sie die Intensivstation zu unserer Überraschung auf einmal verlassen und auf die normale Station verlegt werden.
Langsam erwachte Eva zwischendurch wieder etwas. Allerdings konnte sie ein Auge nicht mehr öffnen. Allgemein schien sie nur noch die rechte Hand bewegen zu können. Es war sehr ungewiss, ob sie wieder lernen kann, sich zu bewegen. Man wusste nicht, wie sehr das Hirn beschädigt war und was sie wieder lernen kann und was nicht. Froh war ich, dass sie wieder an der Brust trinken und gut schlucken konnte. Nach einem Monat im Spital wurde sie in die Kinderreha geschickt. Dort machte sie schnell gute Fortschritte und alle staunten. Nach einem Monat konnte sie wieder kriechen und machte schon erste Gehversuche. Täglich lernte sie Neues dazu, sodass wir nach Hause gehen konnten, mit einer Verordnung für Physiotherapie und Früherziehung. Es waren sehr anstrengende Monate Zuhause. Die grösseren Geschwister freuten sich sehr auf unsere Rückkehr, brauchten mich mehr als sonst und jeder hatte seine speziellen Bedürfnisse. Wir spürten, dass wir keine Kraft mehr haben. Eva litt unter dem Medikament gegen die Epilepsie und war stets nur am Weinen und trotzen. So freuten wir uns umso mehr, als sie drei Monate später das Medikament stoppen durfte und sie wieder zu lachen begann und wieder anfing den Clown der Familie zu spielen. Auch die Physiotherapie und die Früherziehung wurde bald gestoppt. Dafür sind wir den Ärzten, aber auch Gott unendlich dankbar! Somit blieb eigentlich nur etwas zurück: unseren Wunsch, dass Familien dasselbe erleben dürfen, dass Gott auch alle anderen Kinder heilt, den Eltern Kraft, Trost und Hoffnung schenkt und sie seine Gegenwart genauso tragend erleben dürfen wie auch wir. Es ist unser Wunsch, Familien auf der Intensivstation mit Hoffnung zu beschenken.

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